Stefan Ungemach
2003-12-21 20:45:09 UTC
Nachdem juengst in streckenweise recht aufgeregter Weise darueber
gestritten wurde, ob denn eine Kandare nun verfeinernd oder
verstaerkend wirken wuerde, ob sie schaerfer als eine Trense deherkomme
oder nicht, und ob sie zum Praezisieren geeignet sei, bin ich ins
Nachdenken geraten. Nicht ueber ihren Charakter als
Praezisionsinstrument (statt Kieferknacker), das *kann* man mit einiger
Erfahrung in ihrer Anwendung gar nicht mehr anders wahrnehmen - sondern
darueber, *wie* jemand zu einer anderslautenden Interpretation gelangen
und diese, gestuetzt auf Hebelgesetze, gar so vehement verteidigen
konnte.
Zu diesem Zwecke habe ich in den letzten Tagen zuerst mal bei allerlei
Reitern herumgefragt, wie denn eine Kandare ihrer Ansicht nach wirke
und was speziell sie sich von ihrer Fuehrung verspraechen. Zuerst mal:
die landlaeufige Meinung, die Kandare sei einfach "schaerfer" und ihre
Anwendung primaer das Ziel, den armen Esel ordentlich festhalten und
knechten zu koennen, ist vorzugsweise unter den sie nicht Verwendenden
weit verbreitet. Erschreckenderweise lieferten aber auch Kandarenreiter
nur unwesentlich "bessere" Erklaerungsversuche wie den, man koenne
damit die Pferde besser versammeln, da man "vorne ja mehr aufzufangen"
in der Lage sei, ab. Solche mit etwas mehr Routine fuehrten zwar
erwartungsgemaess an, irgendwie genauer Einfluss auf "den Kopf" nehmen
zu koennen, konnten das jedoch nicht so genau begruenden.
Kurzum: ein interessierter Laie, der in Stall und Stueberl die Ohren
spitzt, muss fast zwangslaeufig zu einem verzerrten Verstaendnis des
Instruments "Kandare" gelangen. Und wenn ihm schwant, dass das gar so
simpel vielleicht doch nicht sein koenne, locken ihn die Hebelgesetze
auf die falsche Spur, und viele Fachbuecher lassen ihn schnell alleine.
Grund genug, doch noch mal ein paar Worte ueber die so bekannte wie
missverstandene Stangenkonstruktion zu verlieren...
Ueber die korrekte Verpassung will ich mich an dieser Stelle mal
_nicht_ weiter auslassen, die steht in nun wirklich jedem Reitbuch
nachzulesen (und ich hatte sie vor ein paar Jahren auch hier schon mal
zusaetzlich erklaert und begruendet). Stattdessen moechte ich die
Aufmerksamkeit auf zwei ganz andere Aspekte der Angelegenheit richten:
wie wirken Kandare und Trensengebiss im Pferdemaul, und was ist ein
Praezisionsinstrument?
Eine _Kandare_ liegt im unteren Bereich der "Luecke" zwischen den
vorderen und den Backenzaehnen des Pferdes, wo sie unmittelbar drei
Punkte anspricht. *Direkt* wirkt sie auf zwei Stellen: Zunge und Laden.
Der Grad der Einwirkung haengt von ihrer Konstruktion relativ zum
Pferdemaul ab; ueber die Zungenfreiheit wird der durch sie ausgeuebte
Druck zwischen ihren beiden moeglichen Wirkungspunkten verteilt. Die
Wirkung der Konstruktionsweise auf das *Pferd* bestimmt letzteres
dadurch, wie sehr es sich durch die Lastaufnahme der Zunge irritiert
oder erleichtert fuehlt.
*Indirekt* wirkt sie auf das Genick des Pferdes; aufgrund ihrer
genauen(!) Lage im Pferdemaul kann man ueber sie aufwaertsgerichtete
Hilfen geben und insbesondere den Pferdekopf bei gleichzeitiger
Fuehrung der Nase nach hinten aufrichten. Dieses "Indirekt" muss
unbedingt richtig verstanden werden: gemeint ist *nur*, dass sie nicht
am Genick anliegt (wie sollte es das auch), aber trotzdem eine Hilfe
unmittelbar in dessen Richtung durchlaesst. Sie kann also das Genick
gleichzeitig drehen und anheben. Mit der "indirekten" Wirkung z.B.
einer Trense (aber auch z.B. der Wade :-) ) in dem Sinne, dass deren
Einwirkung ja auch irgendwie auf die Genickstellung durchschlaegt, hat
das nichts zu tun...
Zwischen der Kandarenstange und den Maulwinkeln ist noch Spielraum, der
auch bei anstehender Kandare besteht (deshalb passt auch noch eine
Unterlegtrense rein, die jedoch eine voellig andere Aufgabe uebernimmt;
dazu kommen wir spaeter). Durch die Kinnkette wird die Kandare nicht
nur gegen den Kiefer, sondern auch relativ zum Maulwinkel fixiert, der
hierfuer ja zu weit weg ist - hierzu nutzt man die Kinnkettengrube.
Es ist uebrigens extrem wichtig, eine Kandare sorgfaeltig und
vollstaendig anzupassen, wozu weit mehr als der bekannteste Aspekt
dieser Angelegenheit (naemlich die beruehmten 45 Grad Anzugwinkel bei
anstehendem Kandarenzuegel) gehoert: von Baumlaenge,
Stangenform, -dicke und -weite bis zum nicht nur durch die
Kinnkettenlaenge, sondern auch durch die Stangenweite mit bestimmten
gleichmaessigen Verlauf der Kinnkette sind sehr viele Parameter
einstellbar - und bei jedem davon kann bereits ein kleiner Fehler das
Gebiss im Vergleich zur richtigen Verpassung deutlich schaerfer *und*
unpraezise (letzteres im Gegensatz zur richtig verpassten Kandare; die
ist - ich verspreche, das spaeter noch zu begruenden :-) - tatsaechlich
ein Praezisionsinstrument) machen. Die vielen hierbei gemachten Fehler
fuehren beim Pferd selbst dann oft zu heftigen Reaktionen, wenn die
Zuegel noch gar nicht angefasst wurden - kein Wunder, dass der
Beobachter ein per se *zu* scharfes wahrzunehmen glaubt.
Die _Trense_ liegt weiter oben im Maulwinkel und wirkt dort auf Zunge
und Lefzen. Da die Maulspalte an dieser Stelle endet, liegt die Trense
nicht mehr direkt auf den Laden, sondern drueckt vielmehr die
Maulwinkel schraeg von oben auf den Unterkiefer; der Druck wird erst
dann in letzterem gefuehlt, wenn das Fleisch des Maulwinkels bereits
weissgequetscht ist (ein Experiment, welches jeder mit dem Finger im
eigenen Mund nachvollziehen kann). Fixiert wird die Trense durch
Backenstuecke und Maulwinkel.
So weit, so gut. In der Diskussion speziell dieser beiden Gebissformen
gibt es nun drei spezielle Punkte, die offenbar von einem
nennenswertender Teil der Reiter falsch verstanden werden und bei
Betrachtung der Mechanik von Gebiss *und* Pferdemaul (letzteres nicht
genuegend zu beachten ist die Crux physikalischer Ansaetze, die sich
auf das nackte Instrument konzentrieren) in einem anderen Licht
erscheinen. Nicht unbedingt in einem neuen - Interessantes hierzu
liesse sich z.B. schon bei Seunig (bei Mueseler, dessen Thema mehr die
Gebrauchsreiterei und weniger das Endstadium der Dressur ist, dagegen
leider nur in Form irrefuehrender Oberflaechlichkeiten) zutage
foerdern. Diese Punkte, die teilweise miteinander in Zusammenhang
stehen, sind: der "Nussknackereffekt", die seitliche Einwirkung ueber
das Kandarengebiss, und ganz allgemein die Vorstellungen von Schaerfe
und Praezision von Gebissen.
Punkt 1: Der vielbeschworene Nussknackereffekt. Der tritt bei der
einfach gebrochenen Trense bereits sehr frueh ein, weil jedes Annehmen
mit einem seitlichen Druck verbunden ist. Zwar entsteht der direkte
seitliche Druck auf die Laden in der Tat erst erst bei sehr starkem
Annehmen; da quietscht das Pferd innerlich aber laengst ob des
Schmerzes in der zusammengepressten Lefze, die den eigentlichen
Uebertragungsweg fuer die Hilfe darstellt. Das Ding ist also schaerfer
als gemeinhin vermutet.
Infolgedessen kann und sollte man, auch was die gegebenen "Machtmittel"
angeht, praktisch die komplette Dressurausbildung auf Trense
durchfuehren. Tatsaechlich ist einer der Hauptgruende fuer das
*gemeinsame* Einlegen von Kandare und Trensengebiss der Umstand, dass
die Kandare vom Pferd komplett _anders_ statt bloss _gesteigert_
wahrgenommen wird und es daher auf diese, mit Unterstuetzung durch ein
bereits bekanntes Gebiss, in erheblichem Mass umgestellt werden muss.
Was ohne eine bereits erfolgte vollstaendige Trensenausbildung sehr
schwierig ist.
Dummerweise sind viele Pferde halt schon so weit im Maul abgestumpft,
dass das i.d.R. nach einer langen Zeit "auf Trense" erfolgende
Hineinschrauben der Knarre eine dramatische Zunahme an Reaktion auf die
Hand bewirkt - und daraus leiten die Reiter dann ab, die Kandare sei
(a) sehr viel schaerfer als die Trense, und habe (b) unmittelbar bzw.
konstruktionsbedingt was mit dem ploetzlich wieder nach hinten/unten
fliehenden Pferdekopf zu tun. Sie *ist* schaerfer, aber sie kann nicht
als simple Steigerung der Trense verstanden werden, und sie ist vor
allem nicht unpraeziser. Dazu unter (3) mehr.
Punkt 2: seitliche Hilfengebung auf Kandare. Betrachten wir das
Pferdemaul noch einmal von innen. Auch wenn dieses recht breit
erscheinen mag: der Unterkiefer selbst ist an dieser Stelle mit 4-5cm
sehr schmal, ca. ein Drittel der zur Anwendung kommenden Gebissweite.
Eine gegen ihn fixierte Kandarenstange, die ja direkt auf die Lade
wirkt, stellt also einen recht langen Hebel auf diesen dar, wogegen die
Trense ihn ueberhaupt nicht angreift und stattdessen vergleichsweise
verschwommen im Maulwinkel zwickt. Man darf nur nicht vergessen, mit
der aesseren Hand am Kandarenzuegel immer ausreichend nachzugeben, wenn
man den inneren annimmt, um wirklich zu stellen und nicht bloss
einseitig Schmerzen zuzufuegen - dafuer ist die Bearbeitung der
Stellung jedoch ganz direkt und *ohne* nach hinten auf den gesamten
Pferdekopf einzuwirken, moeglich. Ein Riesenvorteil gegenueber der
Trense.
Punkt 3 (endlich): Schaerfe und Praezision. Zwar wurde bereits
erschoepfend festgestellt, dass ein Hebel, an dem der Reiter ziehen
kann, mehr Krafteinwirkung erzeugt. Dafuer jedoch vollzieht die
Reiterhand groessere Bewegungen, als es die Stange gegen die Laden
tut - und die im Pferdemaul ankommenden *Informationen* bestehen in
erster Linie aus Bewegungen. Die Kandare stellt also eine
*Untersetzung* fuer die Reiterhand dar - und Untersetzungen
kennzeichnen Praezisionsinstrumente. Besonders deutlich wird dies an
mechanischen Konstrukten, bei denen der Wegeunterschied sehr deutlich
ausfaellt: Schrauben und Keile zum Beispiel. Erstere werden fuer
allerhand Einstellaufgaben verwendet, bei denen kleinste Differenzen
von Bedeutung sind. Und ein wunderbares Beispiel fuer letztere sind
Klingen - der zugrundeliegende "Keil" ist bei einem Skalpell wesentlich
flacher, die "Untersetzung" also groesser, als bei einem Buttermesser.
Welches von beiden ist das praezisere Instrument?
Genau das ist der Knackpunkt bei den Zuegelhilfen: es geht hier fuer
den Reiter, der mit Sitz, Beinen, Haenden etc. eine ganze Menge zu
koordinieren hat, beim Reiten sowieso mehr um *Wege* als um *Kraefte*.
So oder so kann ein Reiter mit zwei Haenden ein Stueck Metall gleich
welcher Form dergestalt ins Pferdemaul ziehen, dass dies dem Pferd
*richtig* wehtut und er sich voruebergehend als der Staerkere erweist.
Aber Handfehler, insbesondere die nicht unabhaengige Hand, bedeuten
falsche bzw. nicht hinreichend kontrollierte Bewegungen der Reiterhand.
Die Trense leitet diese "Fehlinformationen" 1:1 ins Pferdemaul,
allerdings an einer Stelle, die bis zu einem gewissen Grad Fehler
"verzeiht". Die Kandare beinhaltet einen dies abfedernden Spielraum
(auch wenn sie im Ergebnis vor Ort groessere Kraefte erzeugen kann),
wirkt dafuer jedoch auf eine empfindlichere Stelle.
Dies bedeutet unabhaengig von den unterschiedlichen Wirkungsweisen auf
den ganzen Kopf in puncto "Schaerfe" folgendes: die kleinen, immer
vorhandenen und ungewollten Schwankungen der Handeinwirkung sind fuer
das Pferd per Kandare deutlicher von gewollten Hilfen zu unterscheiden,
als dies durch die Trense der Fall waere. Ein Reiter mit (noch)
unkontrollierter Hand ueberschreitet diese Grenze dagegen viel zu oft,
um den Vorteil der Kandare gegenueber der Trense ausspielen zu koennen.
Die Kandare erleichtert es dem Reiter, sich an eine kritischere Grenze
heranzutasten. Genau das kennzeichnet ein Praezisionsinstrument!
Dies ist keine vollstaendige Abhandlung ueber die Kandare (an einer
solchen arbeite ich bereits recht lange, aber die erscheint - der
Verlag gebaerdet sich zur Zeit etwas zaehe - irgendwann mal an anderer
Stelle als in drtp).. Aber es ist der Versuch, die "heissesten"
Streitpunkte einer immer noch halbwegs aktuellen Diskussion noch einmal
unbelastet von hineingemischten Zwistigkeiten anzusprechen.
Gruss
Stefan
gestritten wurde, ob denn eine Kandare nun verfeinernd oder
verstaerkend wirken wuerde, ob sie schaerfer als eine Trense deherkomme
oder nicht, und ob sie zum Praezisieren geeignet sei, bin ich ins
Nachdenken geraten. Nicht ueber ihren Charakter als
Praezisionsinstrument (statt Kieferknacker), das *kann* man mit einiger
Erfahrung in ihrer Anwendung gar nicht mehr anders wahrnehmen - sondern
darueber, *wie* jemand zu einer anderslautenden Interpretation gelangen
und diese, gestuetzt auf Hebelgesetze, gar so vehement verteidigen
konnte.
Zu diesem Zwecke habe ich in den letzten Tagen zuerst mal bei allerlei
Reitern herumgefragt, wie denn eine Kandare ihrer Ansicht nach wirke
und was speziell sie sich von ihrer Fuehrung verspraechen. Zuerst mal:
die landlaeufige Meinung, die Kandare sei einfach "schaerfer" und ihre
Anwendung primaer das Ziel, den armen Esel ordentlich festhalten und
knechten zu koennen, ist vorzugsweise unter den sie nicht Verwendenden
weit verbreitet. Erschreckenderweise lieferten aber auch Kandarenreiter
nur unwesentlich "bessere" Erklaerungsversuche wie den, man koenne
damit die Pferde besser versammeln, da man "vorne ja mehr aufzufangen"
in der Lage sei, ab. Solche mit etwas mehr Routine fuehrten zwar
erwartungsgemaess an, irgendwie genauer Einfluss auf "den Kopf" nehmen
zu koennen, konnten das jedoch nicht so genau begruenden.
Kurzum: ein interessierter Laie, der in Stall und Stueberl die Ohren
spitzt, muss fast zwangslaeufig zu einem verzerrten Verstaendnis des
Instruments "Kandare" gelangen. Und wenn ihm schwant, dass das gar so
simpel vielleicht doch nicht sein koenne, locken ihn die Hebelgesetze
auf die falsche Spur, und viele Fachbuecher lassen ihn schnell alleine.
Grund genug, doch noch mal ein paar Worte ueber die so bekannte wie
missverstandene Stangenkonstruktion zu verlieren...
Ueber die korrekte Verpassung will ich mich an dieser Stelle mal
_nicht_ weiter auslassen, die steht in nun wirklich jedem Reitbuch
nachzulesen (und ich hatte sie vor ein paar Jahren auch hier schon mal
zusaetzlich erklaert und begruendet). Stattdessen moechte ich die
Aufmerksamkeit auf zwei ganz andere Aspekte der Angelegenheit richten:
wie wirken Kandare und Trensengebiss im Pferdemaul, und was ist ein
Praezisionsinstrument?
Eine _Kandare_ liegt im unteren Bereich der "Luecke" zwischen den
vorderen und den Backenzaehnen des Pferdes, wo sie unmittelbar drei
Punkte anspricht. *Direkt* wirkt sie auf zwei Stellen: Zunge und Laden.
Der Grad der Einwirkung haengt von ihrer Konstruktion relativ zum
Pferdemaul ab; ueber die Zungenfreiheit wird der durch sie ausgeuebte
Druck zwischen ihren beiden moeglichen Wirkungspunkten verteilt. Die
Wirkung der Konstruktionsweise auf das *Pferd* bestimmt letzteres
dadurch, wie sehr es sich durch die Lastaufnahme der Zunge irritiert
oder erleichtert fuehlt.
*Indirekt* wirkt sie auf das Genick des Pferdes; aufgrund ihrer
genauen(!) Lage im Pferdemaul kann man ueber sie aufwaertsgerichtete
Hilfen geben und insbesondere den Pferdekopf bei gleichzeitiger
Fuehrung der Nase nach hinten aufrichten. Dieses "Indirekt" muss
unbedingt richtig verstanden werden: gemeint ist *nur*, dass sie nicht
am Genick anliegt (wie sollte es das auch), aber trotzdem eine Hilfe
unmittelbar in dessen Richtung durchlaesst. Sie kann also das Genick
gleichzeitig drehen und anheben. Mit der "indirekten" Wirkung z.B.
einer Trense (aber auch z.B. der Wade :-) ) in dem Sinne, dass deren
Einwirkung ja auch irgendwie auf die Genickstellung durchschlaegt, hat
das nichts zu tun...
Zwischen der Kandarenstange und den Maulwinkeln ist noch Spielraum, der
auch bei anstehender Kandare besteht (deshalb passt auch noch eine
Unterlegtrense rein, die jedoch eine voellig andere Aufgabe uebernimmt;
dazu kommen wir spaeter). Durch die Kinnkette wird die Kandare nicht
nur gegen den Kiefer, sondern auch relativ zum Maulwinkel fixiert, der
hierfuer ja zu weit weg ist - hierzu nutzt man die Kinnkettengrube.
Es ist uebrigens extrem wichtig, eine Kandare sorgfaeltig und
vollstaendig anzupassen, wozu weit mehr als der bekannteste Aspekt
dieser Angelegenheit (naemlich die beruehmten 45 Grad Anzugwinkel bei
anstehendem Kandarenzuegel) gehoert: von Baumlaenge,
Stangenform, -dicke und -weite bis zum nicht nur durch die
Kinnkettenlaenge, sondern auch durch die Stangenweite mit bestimmten
gleichmaessigen Verlauf der Kinnkette sind sehr viele Parameter
einstellbar - und bei jedem davon kann bereits ein kleiner Fehler das
Gebiss im Vergleich zur richtigen Verpassung deutlich schaerfer *und*
unpraezise (letzteres im Gegensatz zur richtig verpassten Kandare; die
ist - ich verspreche, das spaeter noch zu begruenden :-) - tatsaechlich
ein Praezisionsinstrument) machen. Die vielen hierbei gemachten Fehler
fuehren beim Pferd selbst dann oft zu heftigen Reaktionen, wenn die
Zuegel noch gar nicht angefasst wurden - kein Wunder, dass der
Beobachter ein per se *zu* scharfes wahrzunehmen glaubt.
Die _Trense_ liegt weiter oben im Maulwinkel und wirkt dort auf Zunge
und Lefzen. Da die Maulspalte an dieser Stelle endet, liegt die Trense
nicht mehr direkt auf den Laden, sondern drueckt vielmehr die
Maulwinkel schraeg von oben auf den Unterkiefer; der Druck wird erst
dann in letzterem gefuehlt, wenn das Fleisch des Maulwinkels bereits
weissgequetscht ist (ein Experiment, welches jeder mit dem Finger im
eigenen Mund nachvollziehen kann). Fixiert wird die Trense durch
Backenstuecke und Maulwinkel.
So weit, so gut. In der Diskussion speziell dieser beiden Gebissformen
gibt es nun drei spezielle Punkte, die offenbar von einem
nennenswertender Teil der Reiter falsch verstanden werden und bei
Betrachtung der Mechanik von Gebiss *und* Pferdemaul (letzteres nicht
genuegend zu beachten ist die Crux physikalischer Ansaetze, die sich
auf das nackte Instrument konzentrieren) in einem anderen Licht
erscheinen. Nicht unbedingt in einem neuen - Interessantes hierzu
liesse sich z.B. schon bei Seunig (bei Mueseler, dessen Thema mehr die
Gebrauchsreiterei und weniger das Endstadium der Dressur ist, dagegen
leider nur in Form irrefuehrender Oberflaechlichkeiten) zutage
foerdern. Diese Punkte, die teilweise miteinander in Zusammenhang
stehen, sind: der "Nussknackereffekt", die seitliche Einwirkung ueber
das Kandarengebiss, und ganz allgemein die Vorstellungen von Schaerfe
und Praezision von Gebissen.
Punkt 1: Der vielbeschworene Nussknackereffekt. Der tritt bei der
einfach gebrochenen Trense bereits sehr frueh ein, weil jedes Annehmen
mit einem seitlichen Druck verbunden ist. Zwar entsteht der direkte
seitliche Druck auf die Laden in der Tat erst erst bei sehr starkem
Annehmen; da quietscht das Pferd innerlich aber laengst ob des
Schmerzes in der zusammengepressten Lefze, die den eigentlichen
Uebertragungsweg fuer die Hilfe darstellt. Das Ding ist also schaerfer
als gemeinhin vermutet.
Infolgedessen kann und sollte man, auch was die gegebenen "Machtmittel"
angeht, praktisch die komplette Dressurausbildung auf Trense
durchfuehren. Tatsaechlich ist einer der Hauptgruende fuer das
*gemeinsame* Einlegen von Kandare und Trensengebiss der Umstand, dass
die Kandare vom Pferd komplett _anders_ statt bloss _gesteigert_
wahrgenommen wird und es daher auf diese, mit Unterstuetzung durch ein
bereits bekanntes Gebiss, in erheblichem Mass umgestellt werden muss.
Was ohne eine bereits erfolgte vollstaendige Trensenausbildung sehr
schwierig ist.
Dummerweise sind viele Pferde halt schon so weit im Maul abgestumpft,
dass das i.d.R. nach einer langen Zeit "auf Trense" erfolgende
Hineinschrauben der Knarre eine dramatische Zunahme an Reaktion auf die
Hand bewirkt - und daraus leiten die Reiter dann ab, die Kandare sei
(a) sehr viel schaerfer als die Trense, und habe (b) unmittelbar bzw.
konstruktionsbedingt was mit dem ploetzlich wieder nach hinten/unten
fliehenden Pferdekopf zu tun. Sie *ist* schaerfer, aber sie kann nicht
als simple Steigerung der Trense verstanden werden, und sie ist vor
allem nicht unpraeziser. Dazu unter (3) mehr.
Punkt 2: seitliche Hilfengebung auf Kandare. Betrachten wir das
Pferdemaul noch einmal von innen. Auch wenn dieses recht breit
erscheinen mag: der Unterkiefer selbst ist an dieser Stelle mit 4-5cm
sehr schmal, ca. ein Drittel der zur Anwendung kommenden Gebissweite.
Eine gegen ihn fixierte Kandarenstange, die ja direkt auf die Lade
wirkt, stellt also einen recht langen Hebel auf diesen dar, wogegen die
Trense ihn ueberhaupt nicht angreift und stattdessen vergleichsweise
verschwommen im Maulwinkel zwickt. Man darf nur nicht vergessen, mit
der aesseren Hand am Kandarenzuegel immer ausreichend nachzugeben, wenn
man den inneren annimmt, um wirklich zu stellen und nicht bloss
einseitig Schmerzen zuzufuegen - dafuer ist die Bearbeitung der
Stellung jedoch ganz direkt und *ohne* nach hinten auf den gesamten
Pferdekopf einzuwirken, moeglich. Ein Riesenvorteil gegenueber der
Trense.
Punkt 3 (endlich): Schaerfe und Praezision. Zwar wurde bereits
erschoepfend festgestellt, dass ein Hebel, an dem der Reiter ziehen
kann, mehr Krafteinwirkung erzeugt. Dafuer jedoch vollzieht die
Reiterhand groessere Bewegungen, als es die Stange gegen die Laden
tut - und die im Pferdemaul ankommenden *Informationen* bestehen in
erster Linie aus Bewegungen. Die Kandare stellt also eine
*Untersetzung* fuer die Reiterhand dar - und Untersetzungen
kennzeichnen Praezisionsinstrumente. Besonders deutlich wird dies an
mechanischen Konstrukten, bei denen der Wegeunterschied sehr deutlich
ausfaellt: Schrauben und Keile zum Beispiel. Erstere werden fuer
allerhand Einstellaufgaben verwendet, bei denen kleinste Differenzen
von Bedeutung sind. Und ein wunderbares Beispiel fuer letztere sind
Klingen - der zugrundeliegende "Keil" ist bei einem Skalpell wesentlich
flacher, die "Untersetzung" also groesser, als bei einem Buttermesser.
Welches von beiden ist das praezisere Instrument?
Genau das ist der Knackpunkt bei den Zuegelhilfen: es geht hier fuer
den Reiter, der mit Sitz, Beinen, Haenden etc. eine ganze Menge zu
koordinieren hat, beim Reiten sowieso mehr um *Wege* als um *Kraefte*.
So oder so kann ein Reiter mit zwei Haenden ein Stueck Metall gleich
welcher Form dergestalt ins Pferdemaul ziehen, dass dies dem Pferd
*richtig* wehtut und er sich voruebergehend als der Staerkere erweist.
Aber Handfehler, insbesondere die nicht unabhaengige Hand, bedeuten
falsche bzw. nicht hinreichend kontrollierte Bewegungen der Reiterhand.
Die Trense leitet diese "Fehlinformationen" 1:1 ins Pferdemaul,
allerdings an einer Stelle, die bis zu einem gewissen Grad Fehler
"verzeiht". Die Kandare beinhaltet einen dies abfedernden Spielraum
(auch wenn sie im Ergebnis vor Ort groessere Kraefte erzeugen kann),
wirkt dafuer jedoch auf eine empfindlichere Stelle.
Dies bedeutet unabhaengig von den unterschiedlichen Wirkungsweisen auf
den ganzen Kopf in puncto "Schaerfe" folgendes: die kleinen, immer
vorhandenen und ungewollten Schwankungen der Handeinwirkung sind fuer
das Pferd per Kandare deutlicher von gewollten Hilfen zu unterscheiden,
als dies durch die Trense der Fall waere. Ein Reiter mit (noch)
unkontrollierter Hand ueberschreitet diese Grenze dagegen viel zu oft,
um den Vorteil der Kandare gegenueber der Trense ausspielen zu koennen.
Die Kandare erleichtert es dem Reiter, sich an eine kritischere Grenze
heranzutasten. Genau das kennzeichnet ein Praezisionsinstrument!
Dies ist keine vollstaendige Abhandlung ueber die Kandare (an einer
solchen arbeite ich bereits recht lange, aber die erscheint - der
Verlag gebaerdet sich zur Zeit etwas zaehe - irgendwann mal an anderer
Stelle als in drtp).. Aber es ist der Versuch, die "heissesten"
Streitpunkte einer immer noch halbwegs aktuellen Diskussion noch einmal
unbelastet von hineingemischten Zwistigkeiten anzusprechen.
Gruss
Stefan
--
Stefan Ungemach (www.ungemachdata.de)
"Die Intelligenz auf der Erde ist eine Konstante. Nur die Bevölkerung
wächst..."
Stefan Ungemach (www.ungemachdata.de)
"Die Intelligenz auf der Erde ist eine Konstante. Nur die Bevölkerung
wächst..."